Forschungsberichte

Erweiterte Beschreibung des Umformverhaltens von Blechwerkstoffen

Christian Vogl

121 Seiten 0 Abbildungen Hieronymus Reproduktionsverlag, München, 2003 ISBN 3-89791-311-9

Werkstoffkennwerte von Feinblechen werden wegen der einfachen Durchführbarkeit, der hohen Reproduzierbarkeit und der vergleichsweise geringen Kosten meist in einachsigen kontinuierlichen Zugversuchen ermittelt. Da die Einschnürung einen mehrachsigen Spannungszustand aufweist, wird die Ermittlung der Fließkurve und der senkrechten Anisotropie unter Verwendung herkömmlicher taktiler Messmethoden beim Auftreten der Einschnürung abgebrochen. Computerprogramme für die numerische Simulation von Umformprozessen benötigen Werkstoffkennwerte als Eingangsdaten. Die Fließkurve ist dabei einer der wichtigsten. Sie wird im Regelfall bis zu logarithmischen Formänderungen von φ = 1 beschrieben. Deshalb werden die bis zur Einschnürdehnung ermittelten Werte mittels verschiedener mathematischer Ansätze extrapoliert. Die Extrapolationsansätze beruhen auf idealen Materialgesetzen oder auf empirischen Betrachtungen und bilden deshalb die Realität nur unzureichend ab. Insbesondere in herstellungstechnisch kritischen Bereichen eines Bauteils mit hohen Dehnungen kann es dadurch zu fehlerhaften Simulationsergebnissen kommen.

Meist werden in Simulationsprogrammen zusätzlich die Werte der senkrechten Anisotropie in den Winkeln 0°, 45° und 90° zur Walzrichtung benötigt. Die Anisotropie wird aus den Formänderungen zwischen der genormten unteren Dehnung und der Dehnung, bei der die Einschnürung auftritt, gemittelt und als konstant angenommen.

In der vorliegenden Arbeit wurde ein System entwickelt, das während eines einachsigen kontinuierlichen Zugversuchs die lokal vorherrschenden Formänderungen einer Zugprobe bis zum Riss der Probe optisch erfassen kann. Aus den Messungen wurde ein Berechnungsmodell erarbeitet, das es ermöglicht, die Fließkurve von Feinblechen im Bereich der Einschnürung zu beschreiben. Es ist gelungen, die für die Berechnung der Hauptspannung in Längsrichtung erforderlichen Größen über den Bereich der Gleichmaßdehnung hinaus messtechnisch zu erfassen. Durch eine geometrische Betrachtung des Einschnürbereichs konnten die Querspannungen im Einschnürgrund ermittelt und eine Fließkurve berechnet werden. Dadurch wurde die für eine Extrapolation der Fließkurve benötigte Datenbasis wesentlich vergrößert.

Des Weiteren wurde ein Berechnungsmodell erarbeitet, mit dem die formänderungsabhängige Quantifizierung der senkrechten Anisotropie in lokal begrenzten Bereichen einer Zugprobe möglich ist. Aufgrund des verwendeten Messverfahrens wurden während Formänderungen gemessen, die sich aus einer Überlagerung von plastischer und elastischer Formänderung ergeben. Der Einfluss dieser Überlagerung auf die Ermittlung von Fließkurve und senkrechter Anisotropie wurde quantifiziert. Weiterhin ergab sich ein Einfluss der Probenentnahmerichtung aufgrund des Herstellungsprozesses (Kaltwalzen) ein vernachlässigbarer Einfluss einer Zinkbeschichtung und eine hohe Wiederholgenauigkeit.

Die mittlere optisch ermittelte Fließkurve und die Werte der senkrechten Anisotropie in 0°, 45° und 90° zur Walzrichtung waren die Eingangsdaten für numerische Berechnungen mit dem Simulationsprogramm ABAQUS/Explicit. Es konnten die Umformvorgänge in Nakazima-Versuchen simuliert werden. Die Ergebnisse der numerischen Simulationen wurden mit den Ergebnissen der Formänderungsanalysen verglichen. Dabei war zu erkennen, dass für Werkstoffe, deren senkrechte Anisotropie sich mit steigender Formänderung stark ändert, im Bereich hoher Dehnungen eine wesentliche Verbesserung der Abbildungsgenauigkeit der Umformsimulation erreicht werden kann. Insbesondere in herstellungstechnisch kritischen Bauteilbereichen mit hohen Formänderungen kann so die Versagensvoraussage stark präzisiert werden.