Mechatronische Optimierung von Fördergeräten

Linear bewegte Fördergeräte werden durch die Wirkung der Antriebe zu unerwünschten Schwingungen angeregt. Besonders im Bereich der Lagertechnik wirken sich diese Schwingungen auf den Durchsatz störend aus, da die betreffenden Geräte (z.B. Regalbediengeräte, Stapler, Staplerkrane, etc.) für einen sicheren Lastwechselvorgang auf Grund der Schwingungen Geräteberuhigungszeiten einhalten müssen.

Ein effizienter und wirtschaftlicher Betrieb linear bewegter Fördergeräte lässt sich auf administrativer Ebene, wie etwa am Beispiel automatisiertes Hochregallager, durch die Verwendung einer geeigneten Lagerorganisation mit den zugehörigen Betriebsstrategien und auf operativer Ebene durch eine an die jeweiligen Systemzustände (Hubhöhe, Beladungszustand etc.) angepasste, optimierte Antriebssteuerung erreichen. Zur technischen Steigerung des Durchsatzes derartiger Geräte, z.B. bei Regalbediengeräten (RBG), gilt es den Zielkonflikt zwischen dem Wunsch nach höherer Dynamik bei gleichzeitiger Reduktion der durch die Dynamik hervorgerufenen Schwingungen der Gerätestruktur zu lösen. Um einen sicheren Lastwechselvorgang zwischen Fördergerät und angrenzenden Lagerstrukturen gewährleisten zu können, müssen Strukturschwingungen vermieden oder effektiv ausgeregelt werden. Hierzu werden bislang neben Geräteberuhigungszeiten konstruktive Maßnahmen zur Erhöhung der Steifigkeit der Maststruktur eingesetzt. Letzteres wirkt sich aufgrund des damit verbundenen Gewichtszuwachses jedoch wieder negativ auf die Leistung der Geräte aus. Eine Reduzierung der auftretenden Schwingungen ist durch den Einsatz zusätzlicher Aktoren, z.B. an der Mastspitze von Regalbediengeräten, welche synchron mit dem Hauptfahrantrieb arbeiten, möglich. Dies führt jedoch zu zusätzlichem Steuerungs- und Investitionsaufwand. Um bereits im Vorfeld den Einfluss der Gerätedynamik möglichst gering zu halten, werden unter Verwendung von Ruckzeiten (linearer Aufbau der positiven bzw. negativen Beschleunigung) S-förmige-Geschwindigkeitsrampen eingesetzt. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, schwingungsoptimale Anfahr- und Bremszeiten in Abhängigkeit des aktuellen Systemzustandes zu ermitteln. Der hierfür benötige Rechenaufwand ist enorm. Diese Verfahren stellen daher nur suboptimale Lösungen der gezeigten Problematik auf.

Ziel dieses Forschungsprojektes ist es daher, einen Steuerungs- und Regelungsansatz zu entwerfen, welcher in Abhängigkeit der jeweiligen Gerätestruktur, unter Berücksichtigung der aktuellen Hubhöhe, des aktuellen Beladungszustandes sowie der vorhandenen Reibungs- und Verschleißverhältnisse unter Ausnutzung der maximal verfügbaren Antriebsleistung linear bewegte Fördergeräte in kürzest möglicher Zeit und ohne Nachschwingungen des Lastaufnahmemittels am Zielort positioniert. Bei der Entwicklung des Steuerungs- und Regelungsansatzes soll auf den Einsatz zusätzlicher Sensorik und Aktuatorik verzichtet werden. Ausgehend von einer Klassifizierung und Analyse der zu untersuchenden Geräte sollen zunächst mechanische Ersatzmodelle in hierfür geeigneten Simulationsmodellen erstellt und verifiziert werden, mit deren Hilfe die Dynamik und das Strukturverhalten realer Anlagen sehr gut wiedergegeben werden kann. Anhand dieser Simulationsmodelle sollen unterschiedliche Steuerungs- und Regelungskonzepte mit den oben genannten Zielen entwickelt und erprobt werden. Anschließend gilt es den entworfenen Steuerungs- und Regelungsansatz an einer realen Versuchsanlage zu implementieren und auf dessen Praxistauglichkeit hin zu untersuchen.

Zur Verifikation der Rechnermodelle steht am Lehrstuhl fml eine Versuchsanlage eines Bediengeräts für Automatische Kleinteilelager zur Verfügung. Die Versuchsanlage ist mit Servomotoren für den Fahr- und den Hubantrieb ausgestattet. Die Steuerung erfolgt über einen PC, der über CAN-Bussystem mit der Anlage verbunden ist. Das Gerät ist als Zwei-Mast-Version ausgeführt. Die Verwendung des CAN-Bussystems ermöglicht den Test von Regelungs- und Steuerungsstrategien über deren Integration mit Hilfe der Simulationssoftware Matlab/Simulink. Das xPC-Target erlaubt dabei eine Hardware-in-the-Loop – Simulation mit Echtzeitanwendung.

Im Rahmen der Umsetzung des entworfenen Steuerungs- und Regelungsansatzes an der realen Versuchsanlage eines automatischen Kleinteilelagers am Lehrstuhl für Fördertechnik Materialfluss Logistik konnte die Effektivität des gewählten Verfahrens zur Reduzierung der auftretenden Strukturschwingungen demonstrativ gezeigt werden. Neben einer drastischen Schwingungsdämpfung kann mit diesem Verfahren eine deutliche Reduzierung der benötigten Positionierzeiten und damit eine Steigerung des Durchsatzes erreicht werden.

Zur Bewertung des entworfenen Steuerungs- und Regelungsansatz sind im Folgenden die Ergebnisse für Positioniermanöver im Nahbereich aufgeführt. Bei der konventionellen Antriebslösung wird ein nach dem Stand der Technik eingesetzter Rampengenerator verwendet, welcher in Abhängigkeit des zurückzulegenden Weges und der in der Antriebssteuerung hinterlegten Motorparameter sowie unter Berücksichtigung von Beschleunigungsanstiegszeiten, den Ruckzeiten, ein Geschwindigkeitsprofil generiert. Die maximale Antriebskraft des verwendeten Motors beträgt 5200 N. Bedingt durch die Zwei-Mast-Konstruktion weist die Versuchsanlage eine hohe Biegesteifigkeit auf. Um dennoch die Effektivität demonstrieren zu können, wurde mit maximaler Zuladung (100 kg) und einer Hubhöhe von 7 m des Lastaufnahmemittels positioniert. Gegenüber der konventionellen Antriebslösung wird mit Hilfe des gewählten Ansatzes die maximal mögliche Antriebsleistung voll ausgenutzt. Den Grafiken ist der Verlauf der Lastaufnahmemittelschwingung (TCP-Auslenkgung) bei Positioniermanövern im Nachbereich zu entnehmen.

Gegenüber der konventionellen Antriebslösung, bei der bei Erreichen der Zielposition die TCP-Auslenkung bis zu 10 mm beträgt, werden mit Hilfe des zugrundeliegenden Steuerungs- und Regelungsansatzes bereits während des Verfahrens auftretende Strukturschwingungen stark bedämpft, so dass bei Erreichen des Zielortes die TCP-Auslenkung weniger als 3 mm beträgt.

Neben einer drastischen Schwingungsdämpfung kann mit diesem Verfahren eine deutliche Reduzierung der benötigten Positionierzeiten und damit eine Steigerung des Durchsatzes erreicht werden. Bei der Ermittlung der mittleren benötigten Verfahrzeit wurde als Bezugsmaß die TCP-Auslenkungen mit einem Toleranzband von +/- 3 mm herangezogen. Die Ergebnisse aus den praktischen Versuchsreihen sind in folgender Abbildung dargestellt:

Gegenüber der konventionellen Antriebslösung lässt sich die mittlere benötigte Verfahrzeit im Nahbereich um bis zu 40 % reduzieren. Für den praktischen Einsatz ist die Auswirkung auf die Gesamtleistung eines Regalbediengerätes von entscheidender Bedeutung. Mit Hilfe von Spielzeitberechnungen konnte für die Versuchsanlage in Abhängigkeit des Lagerfüllungsgrades bei Verwendung einer chaotischen (freien) Lagerplatzordnung (c_konv. und c_opt.) eine Durchsatzsteigerung von ca. 10 % sowie bei Verwendung einer fahrwegoptimierten Strategie "Einlagerung nahe Auslagerung" (n_konv. und n_opt.) eine Steigerung des Durchsatzes von ca. 11 % gegenüber der konventionellen Antriebslösung erreicht werden.

  • Lehrstuhl für Angwandete Mechanik

Das Forschungsprojekt wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit der Nummer GU 427/5-2 gefördert.