Forschungsthemen

Im Sinn der Übertragbarkeit sollte ein wissenschaftlicher Ansatz möglichst hohe Übertragbarkeit besitzen. Daher erstreckt sich die Forschung am Lehrstuhl für Ergonomie über verschiedenste Lebensbereiche. Hier kommt vor allem die Kooperation mit der Professur für Sportgeräte und -materialien zum Tragen.

Die Forschung am Lehrstuhl für Ergonomie beschäftigt sich im Sinn des Begriffes Micro-Ergonomics vor allem mit der Gestaltung und Bewertung der Interaktion des Menschen mit technischen Systemen. Gerade vor dem Hintergrund der gegenwärtigen demografischen und wirtschaftlichen Entwicklungen erhält die Qualität der ergonomischen Gestaltung und die Freude an der Benutzung für viele Produkte eine immer stärkere Bedeutung im globalen Wettbewerb. Diese Tatsache gilt sowohl für Konsumgüter als auch für Maschinen im Produktionsumfeld. Innovative Interaktionstechnologien wie zum Beispiel die Touchbedienung oder Stellteile mit force-feedback ermöglichen einerseits die Neugestaltung von Interaktionskonzepten und erfordern andererseits seitens der Ergonomie die Entwicklung geeigneter Bewertungsmethoden zum Beispiel im Bereich der Usability, um ihre ergonomische Qualität objektiv zu messen. Die Kompetenzen des Lehrstuhls decken dabei sowohl anthropometrische als auch kognitive Aspekte ab. Es wird interdisziplinär in sehr enger Zusammenarbeit mit Industriepartnern aus unterschiedlichsten Domänen (Luftfahrt, Kraftfahrzeug, Arbeitsplatz, Sport) und unter Einbeziehung von Endnutzer*innen (z.B. im Usability Lab der Klimakammer oder Fahrsimulator) geforscht um basierend auf Theorien und Modellen neue Konzepten und Werkzeuge zu entwickeln.

Digitale Menschmodellierung für die ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen, Produkten und Fahrzeugen

Insbesondere vor dem Hintergrund alternder Gesellschaften achten Hersteller darauf, den Fahrerarbeitsplatz und insbesondere den Fahrzeugsitz höchstem ergonomischem Niveau zu konzipieren.

Daher wird die ergonomische Gestaltung unter Berücksichtigung anthropometrischer Anforderungen ein neben Sicherheit und Effizienz ein Erfolgsfaktor bleiben. Ein zentrales Element hierbei stellt die Optimierung der Erreichbarkeit von Eingabeelementen und die Ablesbarkeit von Anzeigen für eine breite Verteilung von Fahrzeugführenden dar. Ein anderer Aspekt ist die Reduktion des Diskomforts mittels optimierter Sitzbedingungen.

Am Lehrstuhl für Ergonomie wurden Haltung und Druckverteilung als empirische Größe zur Bestimmung des wahrgenommenen Diskomforts identifiziert – auch bezüglich der Abschätzung von Langzeitaspekten. Diese Bewertungsdimensionen wurden zum Teil in das digitale Menschmodell RAMSIS integriert, sodass die Entwicklerin bzw. der Entwickler in der Lage ist, anthropometrische Anforderungen and Komfortanforderungen in der frühen Phase zu berücksichtigen.

Da die Konzeptbewertung durch Probandinnen und Probanden sehr zeit- und kostenintensiv ist, ist ein valides digitales Menschmodell von außerordentlicher Bedeutung. Zunehmend sollen neben anthropometrischen Aspekten auch kognitive Eigenschaften erfüllt werden. Daher konzentriert sich die aktuelle Forschungsarbeit auf die Modellierung visueller und visu-motorischer Prozesse.

Biomechanische Modellierung von Kräften und Bewegungen

Die ergonomische Bewertung eines Produkts erfordert zumeist den Aufbau eines physikalischen Mock-up oder eines Prototypen, die mit Hilfe einer Gruppe von Expertinnen und Experten oder einer repräsentativen Stichprobe von Benutzer*innen überprüft werden. Dies ist ein teurer und zeitaufwändiger Prozess. Um dem entgegenzuwirken werden in frühen Phasen der Produktentwicklung zunehmend digitale Mock-ups in Kombination mit digitalen Menschmodellen eingesetzt, was zu einer Reduzierung von Entwicklungszeit und Kosten führt.

Um der Konstrukteurin bzw. dem Konstrukteur bei der Bewertung eines zukünftigen Produktes zu helfen, sollten sich digitale Menschmodelle idealerweise wie Realpersonen verhalten. Dies gilt für die Simulation von anthropometrischen Eigenschaften, von Bewegungen, von Diskomfort wie auch von arbeitsbedingten Gewebeverletzungen. Das Hauptziel dieses Forschungsgebiets ist die Entwicklung fortschrittlicher digitaler Menschmodelle für die ergonomische Forschung und Bewertung unter Berücksichtigung demographischer Effekte.

Ein weiterer Schwerpunkt des Forschungsgebiets ist die Modellierung des menschlichen (Dis-)Komfortempfindens und die Entwicklung von Bewertungsverfahren vor allem im Bereich der Mensch-Sitz-Interaktion.

Untersuchung von Interaktionskonzepten für den effizienten Umgang mit zukünftigen Assistenzsystemen und hochautomatisierten Systemen

Die steigende Zahl von Sensoren im Fahrzeug ermöglicht mehr und mehr Fahrerassistenzssysteme, die teilweise die Fahraufgabe übernehmen können. Die wachsende Vielfalt der entstehenden Interaktionskonzepte kann zu einer mentalen Überforderung der Fahrzeugführenden hinauslaufen. Daher ist es sinnvoll ein Konzept mit einem integrierten Interface zu entwickeln.

Aufgrund der sensorischen Verbesserung werden Fahrerassistenzssystemen zukünftig immer größere Anteile der Fahraufgabe übernehmen können (vgl. Adaptive Cruise Control und Lane Keeping Assist). Dies gilt ebenso für Assistenz- und Automationssystme in der Luftfahrt und Prozesssteuerung. Zukünftige Fahrzeuge werden komplexe Manöver durchführen können und als automatische Fahrzeuge in Kooperation mit der bzw. dem Fahrzeugführenden treten. Eine vergleichbare Entwicklung lässt sich in Mensch-Roboter-Kooperation beobachten bzw. ist in der Luffahrt schon verfügbar.

In fast allen Bereichen muss das Dilemma zwischen Sicherheit und Effizienz gelöst werden. Benutzer*innen sollen informiert sein und motiviert werden vorausschauend zu handeln, um Energie zu sparen und gefährliche Situationen zu verhindern. Die Frage ist, wie sie User Experience gesteigert werden kann ohne die Nutzer*innen zu überfordern oder zu bevormunden. In diesem Zusammenhang werden Interaktionskonzepte für kooperative Mensch-Maschine Systeme entwickelt, sodass Mensch und Maschine Handlungsabsichten als Kooperationspartner austauschen können.

  • „Was ist die nächste Aktivität des automatisierten Fahrzeugs?“
  • „Was ist der nächste Aktivität des kooperierenden Roboters?“
  • „Wie vorhersehbar sind menschliche Bewegungen für eine kooperative adaptive Maschine?“
  • „Bis zu welchem Grad ist der Kooperationspartner (Mensch oder Maschine) noch in der Lage angemessen zu reagieren oder eingeschränkt durch Hypovigilance, Situationsbewusstsein, Müdigkeit, Fehler, Fehlfunktionen und funktionale Grenzen?“
  • „Wie werden Fahrzeugführende/Nutzer*innen in Zukunft Fahren lernen, wenn sie mit automatisierten Fahrzeugen fahren?“
  • „Wie kann sichergestellt werden, dass Mensch-Roboter Interaktion nicht nur technisch realisiert wird, sondern auch von Benutzer*innen akzeptiert wird; d. h. Nutzer*innen sich sicher fühlen und nicht durch die Anwesenheit eines Roboters beeinträchtigt werden?“

Untersuchung multimodaler Mensch-Maschine-Interaktion

Um die wachsende Menge von Informationen in modernen Fahrzeugen leicht nutzbar zu machen und die Interaktion für Fahrzeugführende z. B. mit dem Navigationssystem zu erleichtern, spielen innovative Interaktionstechniken und ergonomische Gestaltung eine große Rolle. Im Auto können Eingaben nur im Einklang mit der Fahraufgabe erfolgen. Dabei können Ablenkung und Überlastung durch eine möglichst ergonomisch konzipierte Interaktion vermieden werden. Verschiedene Modalitäten (Handschrift, Touch, manuelle Eingabesysteme, Blicktichtungserfassung) werden in diesem Zusammenhang bezüglich ihrer Eignung untersucht.

Auch in Produktionsumgebungen stellt die Verfügbarkeit der Programmierexpertin bzw. des Programmierexperten den Engpass für die flexible und effiziente Nutzung von Robotern dar. Daher sollen neue multimodale Programmieransätze, die auf den oben genannten Technologien basieren, bezüglich ihrer Eignung für das Robotertraining und die Roboterprogrammierung untersucht werden, sodass auch Nichtexpertinnen und Nichtexperten in der Lage sind kleine und Leichtbauroboter für Produktionszwecke zu adaptieren.

Entwicklung von Bewertungsverfahren

Die Verwendung von Displays in Fahrzeugen hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen; Spracheingabe ist eine großer Hoffnungsträger für die Verringerung der Fahrerablenkung. Das Ziel aller Interaktionskonzepte ist die Erhöhung des Komforts und der Betriebssicherheit. Es ist jedoch noch nicht bekannt, ob neue zusätzliche Funktionen nicht auch zur Überlastung beitragen können und damit negative Auswirkungen auf die Fahrsicherheit haben können. Daher ist es notwendig, die Entwicklerin bzw. den Entwickler mit Beurteilungsmethoden für die frühen Entwicklungsphasen auszustatten.

Das Institut untersucht daher das Potential der Messung der Pupillendilatation und der Entdeckung peripherer Reize für die Beurteilung der kognitiven Beanspruchung in verschiedenen Interaktionsbedingungen. Es ist ein klares Forschungsziel Methoden und Indizes für die Workload-Messung zu entwickeln und zu kalibrieren, sodass eine kontinuierliche Messung auch während hoher Unterstützungs- und Automationsgrade und multimodaler Interaktion möglich ist.